Der Ohrring

Über Eifersucht, Hartgummi und den Beginn einer neuen Freundschaft.

– Ja hallo. Ich bin’s.

– Ah, hallo. Na?

– Ja, also … ich … wir können uns nicht treffen heute, oder morgen. Es geht erst am Samstag, weil …

– Aber wieso? Du hast doch gesagt …

– Ja, also das ist so, dass sie noch zwei Tage länger bleibt, weil … und es war auch sowieso kürzer, also … ist auch egal,  also jedenfalls bleibt sie noch und …

– aber das geht nicht, du kannst nicht … also das … du hast doch gesagt … und jetzt auch noch zwei Tage länger! Das ist …! Das …

– Ja tut mir leid, ehrlich, aber … es ist wichtig und … also bis Samstag.

– Also … he, warte mal, du kannst doch nicht … wo bist du überhaupt?

– Ähm, wir sind gerade in der Stadt, Mönkebergstraße, na ja, was einkaufen.

– Was eink …? Wieso … Eingehängt. Was für ein Scheißkerl! Das gibt’s doch nicht. So ein … ! Was bildet der sich … Was soll ich … Was soll ich denn jetzt …

Der schwarze Hörer liegt schwer auf der Gabel. Pauls Telefon, der wohnt schon ewig hier. Sie verzerrt das Gesicht, möchte losheulen, greinen, schreien, schimpft aber nur: scheiße, dieser Scheißkerl. Die Tränen rinnen. Sie wankt (das eine Dielenbrett knarrt) zu ihrem Zimmer, stöhnt, lehnt sich gegen den weißen, ramponierten Zargen ihrer Zimmertür. Typische Hamburger Altbauwohnung, lang und schmal. Die Türen stehen eigentlich immer offen. Sie ist allein. Wenn Fanny da wäre. Paul sowieso nicht, der ist arbeiten.

– Was mach ich nur? Das kann er doch nicht …

Fanny schimpft immer über Bruno. Aber im Theater, in der Pause, sobald er sich geäußert hat, schwenkt sie oft um, übernimmt seine Einschätzung. Weil er so vehement ist, eloquent auch. Klug, aber radikal. Man kommt nicht leicht gegen ihn an. Fanny sagt: Wie er dich behandelt! Wie du dich behandeln lässt! Offene Beziehung, ha! Sie hat Recht, natürlich. Ein Egozentriker. Natürlich. Aber sie und Paul, das ist auch nicht einfach. Kaum ist das Kind da, stellt sich raus, er ist ein Macho.

Die Ohnmacht ist das Schlimmste. Eine wütende Ohnmacht. Sie fühlt sich wie voller falscher Elektrik, die alle Zellen schwächt. Rauft sich die Haare. Die Tränen quellen. Die Nase ist völlig verstopft jetzt, die Augen bestimmt ganz rot. Das geht schnell. Sie legt Miles Davis auf, Fahrstuhl zum Schafott. Haha, wie passend. Was für ein einsamer Ton, dazu das schicksalhafte Schlagzeug. Die perfekte Musik für diesen Moment.

Die CD ist von Bruno, natürlich. Er ist Spezialist in Sachen Jazz. Unter anderem. Die silbernen Scheiben gibt es noch nicht so lange, die meisten Leute haben noch Platten, aber Bruno hat sich schon eine riesige Sammlung zugelegt, ganze Alben, CDs in Schubern. Nicht nur Jazz, auch Oper, die großen Oratorien fast vollständig. Alles geklaut. Aus politischen Gründen, wenn man ihn fragt, und weil er nicht genug Geld hat. Er wird nie erwischt. Teure Lebensmittel klaut er auch. Er ist anspruchsvoll, was Essen anbelangt. Sie hat es bei Filetsteaks und gutem Käse versucht, normalen Gouda isst er ja nicht. Aber sie wird natürlich erwischt. Zwei Mal schon.

Mit der Musik lässt sich’s fast aushalten, der Schmerz dehnt sich, Zeit verstreicht. Sie holt sich ein Glas Wein aus der Küche und drückt auf Repeat, fühlt sich wie in einem Film. Die Sonne wirft ein helles, mildes Licht ins Zimmer, der halboffene Fensterflügel sendet Reflexe. Vor dem Haus eine frühsommerhelle Kastanie. Der Raum ist groß und hoch. Was soll sie bloß machen?

Anna empört sich nicht über Bruno, zumindest nicht offen, hat sich aber ziemlich zurückgezogen. In der ersten Zeit in Hamburg waren sie beste Freundinnen. Anna hatte sie auch mitgeschleppt auf diese Geburtstagsparty. Zur Unterstützung. Sie wusste nicht, was sie von dem blassen, ehrgeizigen Literaturstudenten wollte.  „Dass ich auch immer solche Langweiler anziehe!“ Bruno war mit ihm befreundet. Oder ein Kommilitone. Zu dritt standen sie dann im Flur und lachten sich tot. Er war sehr amüsant. So hatte sie ihn kennen gelernt. Nur die Art, wie er tanzte, hatte sie befremdet. Raumgreifend. Nicht den Beat, sondern alle Rhythmen dazwischen betonend. Und er schwitzte. Anna findet Bruno anstrengend.

Sie überlegt. Entweder sie betrinkt sich jetzt, oder sie muss etwas tun. Bloß was. Betrinken ist okay. Nur heute, da würde sie so viel trinken, dass man sie einliefern müsste. Vermutlich. Also? Sie hat einen Schlüssel zu seiner Wohnung. Er ist nicht da. Mit ihr auf der Mönkebergstraße! Ausgerechnet. Das muss ja eine dumme Nuss sein. Fannys Käfer steht irgendwo vor der Tür und sie hat den Schlüssel. Gut.

Sie verlässt die Wohnung, trabt die ausgetretene Marmortreppe hinunter. Schönes Haus, nicht zu schick renoviert für die Gegend. Die große Holztür fällt hinter ihr zu. Sie sieht gleich, wo das Auto steht. Es springt auch an. Sie schiebt die Kassette wieder rein. King Sunny Ade. Heiterer Sound. Gute Erinnerungen, aber nicht an Bruno. Jetzt ist sie beinahe gut gelaunt. Entspannt.

Zehn Minuten später parkt sie in seiner Straße, die von der Rückseite eines Einkaufszentrums abgeht. Fast nur Wohnblocks aus den fünfziger Jahren, der Konsumpalast ist schäbiger, aus den Siebzigern. Bruno wohnt in einem ordentlichen vierstöckigen Haus im zweiten Stock. Es gehört seinem Vater, seine Schwester wohnt unterm Dach. Sie schließt die Haustür auf. Vermutlich ist im ganzen Haus niemand da. Es ist vollkommen ruhig, nur gedämpfte Straßengeräusche, und ihre Schritte, die im Treppenhaus hallen. Nicht sehr, dafür ist es zu klein. Sie nimmt zwei Stufen auf einmal. Wie immer.

Vor der Wohnung hält sie inne. Lauscht. Nichts. Eine glatte Tür, mahagonifarben, mit Guckloch und Fußabtreter. Sie schließt auf.

Im Flur fällt ihr Blick sofort auf das Tischchen. Für Schlüssel und ähnliches. Sie fand solche Tischchen schon immer blöd. Er nicht. Er ist ordentlicher. Da liegt ein Ohrring. Vor Zorn heult sie auf. Der gehört dieser … Person! Schlampe! Diesem Miststück!

Das also ist Nummer eins. Sie packt das Stück mit beiden Händen, um es zu zerbrechen. Oh. Gummi! Hartgummi. Etwas verbogen legt sie es wieder hin. Lacht beinahe, schnaubend. Okay, okay, nicht sie ist das Problem, sondern er. Auch gut.

Nun zerlegt sie seine Wohnung. Eine ordentliche, geradezu systematische Wohnung. Zwei Zimmer. Das eine ist ganz weiß gestrichen, auch der Fußboden, und leer bis auf ein schwarzer Klavier, zwei schwarze Boxen und eine Solo-Liege aus Chrom mit schwarzem Polster. Ein halblegal erstandener Klassiker zum konzentrierten Hören und Lesen. Sie findet nicht, dass man darauf liegen kann. Das zweite Zimmer ist voll: zwei Bücherwände, eine dritte für die Plattensammlung, CDs obenauf in langer Reihe, und die Anlage. Darüber ein gerahmtes Bild, das mit einer vorigen Freundin zu tun hat. Ein Jahr Aix en Provence. Außerdem eine Zimmerpflanze und zwei Trommeln, aus Afrika mitgeschleppt. Die Motten, die darin wohnten, haben zuerst die Trommelfelle außen kahl gefressen und sind dann auf den Teppich ausgewandert. Das hat ihn maßlos geärgert. In der Mitte, auf einem Teppich, das Bett, eigentlich nur eine breite Matratze. In einem Schrank im Flur die Kleider. Ein winziger Essplatz in der Küche, ein kleines Bad.

Sie hat es nicht wirklich geplant. Es geschieht. Folgerichtig. Zuerst fegt sie die Bücher vom Regal, haut das Bild oben drauf. Die Scherben auf dem Bett gefallen ihr. Auf dem weiß lackierten Fußboden verstreut sie Müsli und Mehl und Marmelade, wirft ein paar Klamotten hinein, rührt darin herum. Sie schüttet Milch und Bier aus dem Kühlschrank auf den Fliesenboden der Küche, dazu Kaffeepulver und was sich sonst noch in der schmalen Speisekammer findet. Zerschlägt die Tassen, die sie ihm geschenkt hat. Die Schokolade steckt sie ein. Den kleinen Tisch und die beiden Stühle wirft sie um, auch das schwarze Designerteil im Zimmer. Im Bad schüttet sie sein edles Rasierwasser in den Ausguss, schmeißt den Flacon auf den Fußboden, fegt den Rest von der Ablage dazu.

Sie sieht sich um. Das Klavier und die Anlage bleiben verschont. Sie ist wütend, aber nicht verrückt. Was noch? Da, der Pullover. Oben türkis, unten schwarz, diagonal, hinten auch. Sein Entwurf. Und ganz dünne Wolle, mit Kaschmir. Sie hatte versprochen, ihm einen zu stricken, und dann ewig daran gesessen. Ewig. Erfreut nimmt sie das hässliche Stück, legt es mitten in den Flur und breitet es sorgfältig aus. Sie holt die Schere aus der Küche, schneidet langsam und sorgfältig. Der Willkommensgruß. Bevor sie die Wohnung verlässt, wirft sie noch einen Blick dahin, wo der Ohrring liegt, grinst. Er hat ein bisschen was abgekriegt. Na ja.

– Ja, hallo? Hallo Bruno.

– Du warst das, oder?

– Ja.

– Also, ich kann das verstehen. Ich meine, ich hab alles verstanden, alle Zeichen.

– …

– Nur die Schokolade, warum hast Du die Schokolade aufgegessen?

– Ich hatte Hunger.

Eineinhalb Jahre und eine Abtreibung später ist es vorbei. Endlich. Sie haben bereits im Café Schöne Aussichten gesessen und zusammen geheult, weil sie es trotz aller Kämpfe nicht hingekriegt hatten mit ihrer Liebe. Dass es endgültig war, daran gab es sofort keinen Zweifel. Nun besucht sie ihn in Baden-Baden. Die Wohnung hier hatten sie noch gemeinsam renoviert, also hauptsächlich sie. Sie hatte auch ein Zimmer bezahlt, sogar bezogen, obwohl sie weiter in Hamburg lebte und arbeitete. Er hätte sich die Miete allein nicht leisten können. Als alles fertig war, hatte er gesagt: es ist die Hölle, wenn du da bist. Selbst das war noch nicht das Ende. Das kam heimlich eines Nachts, als sie sich  ihr eigenes Zetern nicht mehr glaubte.

Sie ist ihm nicht mehr böse. Sie sitzt auf dem kleinen Balkon und trinkt Milchkaffee aus einem „bol“. Das Elsass ist nicht weit, in der „Rose“ hatten sie sich oft gestritten. Zum letzten Mal, als Walter dabei war, auch aus Hamburg. Bruno hatte geweint. Sie sowieso. Es war so erbittert. Beim Abschied am nächsten Morgen am Zug redeten sie wieder von Verständnis und Verbesserung. Doch ihr heimliches Staunen in der Nacht, ihr fremder Blick auf die eigene Empörung, hatte schon alles verändert.

Heute wird sie sie kennen lernen. Die andere. Ding dong. Sehen kann sie nicht, wer unten vor der Tür steht. Bruno geht öffnen. Stimmen. Die beiden kommen die Treppe hoch. Sie tritt vom Balkon ins Zimmer.

– Hallo, ich bin Vera.

– Hallo, ich bin Sybille.

– Tja.

– Ja.

Sie findet sie sofort sympathisch. Sehr sympathisch. Trägt schöne Ohrringe, groß, Modeschmuck, sehr geschmackvoll. Kein Gummi diesmal, Holz vielleicht. Sie denkt: Hätte ich sie eher kennen gelernt, wäre alles ganz einfach gewesen. Bestimmt. Vielleicht. Sie sehen sich an. Lächeln.

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Löwen Lions

LÖWEN LIONS – Eine assoziative Annäherung an das Symbol der weltweiten Charity Organisation

Juliane Kraus proudly presents: LÖWEN. Für einen Essener Lionsclub (Sententia) geschrieben, aber auch für Nicht-Lionsmitglieder interessant und im Buchhandel erhältlich.

Die Idee hatte Britta Stüwe-Berger (Mitglied bei Sententia) gemeinsam mit ihrer Mutter Dagmar Stüwe, von der auch die Fotos sind. Bildauswahl, Konzept und Texte sind von mir.

Das Buch hat 128 Seiten und 62 großformatige Fotos mit etwas Text dazu auf der jeweils gegenüberliegenden Seite. Am Ende eines Kapitels oder  Gedankens schlage ich jeweils einen Bogen zu den Lions und ihren Projekten.

Vieles hat Dagmar Stüwe auf ihren Reisen fotografiert, denn sie interessiert sich für Kunst und Geschichte. Und auch viele Löwen. Aus Stein, Gips und Bronze, auf Teppichen, Leinwänden und Holz, auf Schildern und Mauern, an Hauswänden, Kanzeln, Türen und Giebeln … Keiner ist wie der andere. Es gibt schöne und berüchtigte, verfallene und vergoldete, berühmte und vergessene Löwen. Symbole für Macht und Stärke, aber nicht nur. Die Auswahl fiel nicht leicht.

Der Löwe ist ein uraltes Symbol, das sich vom alten Ägypten über die Römer bis ins mittelalterliche Nordeuropa ausbreitete und in der Renaissance, im Barock, in der Aufklärung, ja sogar in der Moderne bildhaft verwendet wurde. Seine Bedeutung hat sich allerdings sehr ausdifferenziert. Auch, was man heute daraus liest, ist höchst unterschiedlich. Eigentlich kein Wunder, wenn man es recht bedenkt …

Und so heißen die Kapitel:

Einleitung: Macht und Vielfalt
Steter Neubeginn
Der böse Löwe
Die Kunst der Begegnung
Das Gute fließen lassen
Über Brücken
Löwe sein
Die Flügel der Macht
Löwe und Lamm
Eine deutsche Burg
Ehrentitel
Zwei Brüder
Von Gärten und Grenzen
Wappenlöwen
Zunftzeichen
Heilsame Mittel
Neue Wege
Hier wache ich
Vom Sinn der Verzierung
Die Macht der Musik
Lessings Versöhnung
Nur wer sich ändert, bleibt sich treu
Wachsam im Schatten
Große Löwen, kleine Löwen

Es gibt kürzere und längere Kapitel. Hier folgen zwei als Leseprobe: eins über zwei Doppelseiten vom Anfang des Buches, und ein kurzes vom Ende:


STETER NEUBEGINN

Im ägyptischen Sonnenglauben, entstanden um 2600 – 2100 v. Chr. im sogenannten „Alten Reich“, ist das mächtige Löwentier ein Symbol der lebensspendenden und zugleich vernichtenden Macht des Sonnengestirns – und damit ein Sinnbild der Auferstehung. Denn der Pharao, dargestellt als Sphinx, als Löwe mit Menschenkopf, wird „wiedergeboren wie die Sonne aus dem Leib des Himmelstiers“.

Auch weibliche Regentinnen wie Haschepsut zum Beispiel, Herrscherin über das „Neue Reich“ am Nil um 1450 v. Chr., ließen sich als Sphinxen darstellen. Die weiße Rokoko-Sphinx links, die der Bildhauer Ferdinand Tietz vor das Kurfürstliche Palais in Trier stellte, steht wahrscheinlich weniger für Auferstehung als für die Antike schlechthin. Oder war die Dame vielleicht ein ironischer Kommentar zur monumentalen Machtausübung im Barock?

Im modernen Ägypten sorgen Lionsclubs an jedem neuen Tag für Licht: Mit dem SightFirst-Programm helfen sie zu verhindern, dass Kinder ihr Augenlicht verlieren.


Auch ein antiker Naturmythos verbindet Löwen mit Auferstehung. Er besagt, dass Löwenkinder tot geboren und drei Tage später vom männlichen Löwen zum Leben erweckt werden, indem er sie ableckt oder ihnen ins Gesicht bläst. Tatsächlich werden kleine Löwen zwar nicht tot, aber doch immerhin blind geboren – und sicher ausführlich abgeleckt.

Dieser Mythos war lange wirksam. Auch den nach drei Tagen von Gottvater wieder erweckten Christus wird man deshalb einen Löwen nennen, zumal der Stamm Juda, zu dem Jesus gehört, das Tier auch schon als Zeichen trägt. Hier sieht man übrigens, wie sich Symbole und Zuschreibungen oft gegenseitig verstärken.

Lions bringen Licht in die Welt. Das Sight-First-Programm, ein weltweit erfolgreiches Projekt im Kampf gegen Erblindung, das 1925 von Helen Keller angestoßen wurde, ist jetzt ausgeweitet worden zum Projekt “Lichtblicke für Blinde und Gehörlose“. Für Kinder in armen Familien werden gebrauchte Hörgeräte gesammelt. Außerdem werden in Bolivien verschiedene Projekte unterstützt und vernetzt: Präventionsprogramme, eine Schule für Gehörlose, ein Zentrum für Gebärdensprache und eine Hörgeräte-Akustiker-Werkstatt mit Ausbildungsplätzen.

Ob der alte Löwe im Petersdom gute Augen hat, weiß man nicht – aber was für ein Blick!


WACHSAM IM SCHATTEN


Aufmerksam und dabei entspannt, präsent und gleichzeitig zurückhaltend, abseits und doch bereit, jederzeit einzugreifen … ­Ist nicht die ­Löwin auf dem Gelände der Bayer AG in Lever­kusen ein perfektes Symbol für die ­„gute Mutter“?


Dr. Carl Duisberg, langjähriger Chef der ­Farbenfabriken Bayer, wollte 1923 aus Anlass seines 40jährigen Betriebsjubiläums ein ­Löwendenkmal in Auftrag geben, denn die ­damalige Handels­marke für Bayer-Produkte  war seit 1895 ein geflügelter Löwe mit Merkurstab: ein symbolischer Beschützer von Handel und Gewerbe.

Der Künstler Bernhard Hoetger wollte aber ­lieber eine Löwin machen, weil die in Wahrheit alle ­Eigenschaften vereine, die Dr. Duisberg ­dargestellt sehen wollte: Mut, Wachsamkeit, Fürsorge etc. Das männliche Tier schlafe ja vor allem! Wie man sieht, ließ sich Dr. Duisberg überzeugen.

Von weiblichen Löwen gibt es deutlich ­weni­ger Abbildungen als vom männlichen Pendant. Vermutlich, weil sie ihre Stärke nicht demonstrativ zur Schau stellen. Selten symbolisiert eine Löwin Macht, eher Wildnis oder Mütterlichkeit.

Es kann auch von Vorteil sein, nicht im Licht der Aufmerksamkeit zu stehen. Die Löwin ist mehr als eine gute Mutter. Souverän beherrscht sie die Lage, kennt jede Gefahr und sorgt, gemeinsam mit anderen Löwinnen, für die Lebensgrundlage der Gruppe. Gebrüll und Revierkämpfe braucht sie dafür nicht.

Nur ihre erhobene Schwanzspitze verrät eine gewisse Spannung. Sie ist ganz da.

Ein schönes Bild für die Lions-Frauen, ganz gleich, ob sie ­als Ehefrau einen Lions-Mann ­unterstützen oder selbst einem Club an­ge­hören.


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NRZ-Artikel

Neulich hatte ich einen freien Journalisten zu Besuch. Sebastian Sasse sollte für die NRZ einen Artikel über mich schreiben. Glücklicherweise war er am Thema Biografie wirklich interessiert, sitzt selbst an einer Doktorarbeit über den Hitlerbiografen Joachim C. Fest. So haben wir uns sicher zwei Stunden angeregt unterhalten. Der Artikel (erschienen am 29.9.10) ist dann auch ganz schön geworden …

Zum Download: NRZ 18.9.2010 sw

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Die Tonne

Rede zu einem ungewöhnlichen Hochzeitsgeschenk, einer Mülltonne nämlich, allerdings edel und auf Wunsch:

>> Was, ein Abfalleimer zur Hochzeit? Tja, liebes Brautpaar …

Klar, wenn zwei zusammenleben, fällt eine Menge Müll an. Was bei mangelhafter Entsorgung zu Schimmelbildung, Fäulnis und anderen Fehlentwicklungen führen kann, die der Lebensluft und –lust und auch dem gesunden Eheleben schaden.

Diese Tonne ist für die sachgemäße Aufnahme aller Arten von Müll bestens geeignet: stabil, auch in Krisensituationen funktionstüchtig, formschön … kurz: ein erprobtes, verläß­liches Produkt, das mit den Jahren – gerade durch die Beanspruchung! – nur immer schöner werden wird. Kurz, ein absolut unverzichtbares Instrument für eine funktio­nie­rende Beziehung.

Nun aber: Was tut man rein? Grob gesagt, alles Überflüssige. Davon wird es in der Welt immer mehr, bei Euch aber mit der Zeit immer weniger geben, denn Ihr werdet immer besser wissen, was Ihr für Euch und vom andern gar nicht erst braucht … Dennoch – es wird noch genug Überflüssiges bleiben (sonst wäre das Leben auch zu trocken).

Apropos. Flüssigkeiten sollte man hier nicht hineinvergeuden. Denn das Flüssige an sich, im Gegensatz zum Überflüssigen, ist meistens dem Leben sehr zuträg­lich (okay, nicht alle Flüssigkeiten gleichermaßen) … Also, liebes Brautpaar:  Starres, Vertrocknendes, DAS kommt in die Tonne hier. Das andere: Lasst es fließen! Lebenselixiere lassen sich nicht kauen, und auch Hoffnung kann man nur schöpfen und nicht greifen. Die schönen Flüssigkeiten also: verschwendet sie! Dann werdet ihr sie nicht vergeuden.

Was also wird in diesem Eimer landen? Verschiedene Reste zum Beispiel, Zeugen des Verfalls und der Vergänglichkeit wie … ausgelutschte Schalen frischer reifer Passionsfrüchte, verblühte Blumensträuße von der letzten wunderbaren Premiere, zerfledderte Tickets von einer interessanten Reise nach … Argentinien, Israel, China? Ja, Wegwerfen kann schön sein.

Was noch? Völlig unnötige Dinge wie: Strafzettel, Gipsbeine, Sauertöpfe …

Oder Dinge, die ganz plötzlich abfallen, äh als Abfall anfallen: Steine, die von Herzen geplumpst und Knoten, die sich aufgelöst haben. Auch Klötze, die nicht mehr in Mägen liegen, sind in diesem großen Eimer am rechten Platz. (Im Klo gäb’s Verstopfung.)

Was noch? Sachen, die nicht mehr zu reparieren sind: verratene Freund­schaften, nicht einlösbare Versprechen, zerbrochene Geheimnisse … Wie sagt man? Ab mit Schaden.

Auch gibt es Dinge, die kann man getrost weg tun, weil sie falsch sind: manche Rücksichten und Freundlichkeiten, diese oder jene Scham …

Andere Dinge sind schwieriger zu entsorgen. Du denkst, du hast sie  in die Tonne, also das Innere, weggedrückt, und eh Du Dich versiehst, haben sie sich schon bergeweise zwischen Euch aufgehäuft. Also besser: immer raus damit, ausgespuckt, ausgekotzt, und angehört. Betrachtet, sortiert, beweint, belacht. Die sauberen Reste könnt Ihr dann bei Euch in einer nicht nachtragenden Lade verwahren.

Eindeutig Abfall sind abgeschnittene Fußnägel und ähnliches. Solltet Ihr eines Tages anfangen, so etwas aufzubewahren, etwa in Gläsern zu sammeln, ist das ein Signal, dass Ihr therapeutischen Beistand braucht. Sucht dann zu­nächst eine Eheberatung auf. Ich will auf keine Scheidungs­­party eingeladen werden.

Ach, da fällt mir ein, ich habe gar nicht an die Müllsortierung gedacht! Ihr müsst Euch wahrscheinlich ent­scheiden, ob diese Tonne recycelbares Material oder aber den „Restmüll“ aufnehmen soll … Wertvoll, wertlos, gut, böse: Wie soll man das manchmal bitteschön unterscheiden oder gar … trennen?!? Aber so bleibt man beschäftigt! Obwohl, lästige Pflichten solltet Ihr eigent­lich auch in die Tonne kloppen können und nur die Mußestunden übrig behalten.

Ach, ich hoffe trotzdem, dass Ihr Euch über die Tonne freut. Denn es ist ja eine Wundertonne! Sie soll Euch „ent-sorgen“: mit ihrer Hilfe könnt Ihr immer das Richtige zur richtigen Zeit loswerden – und braucht Euch nie mehr Sorgen machen! <<

Und so verpackt wurde die Rede anschließend überreicht …


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„Ich war ne leve jong, meistens.“

Nicht jeder Auftraggeber möchte seine Biografie veröffentlichen. Auch Walter Böhme aus Neuss wollte nur seiner Familie, vor allem seiner Enkelin, und seinen Freunden sein Leben erzählen. Am Ende wurde es eine Familienchronik.

Buch von Walter Böhme

Ein Auszug aus der Einleitung:

(…) Auch wenn jeder in vielfältiger Weise Produkt seiner Herkunft ist, haben manche Men­­schen doch das Glück, von ihr wenig belastet zu sein. Nicht durch Unkenntnis – die schützt nur scheinbar und vorübergehend davor, von der Vergangenheit einge­holt zu werden. Sondern einfach, weil es in solchen Fällen schlicht keine „vererbten Hypotheken“ gibt. Keine „Sünden“ im biblischen Sinne, menschliche Verfehlungen, die negative Auswirkungen (seien es praktische oder psychische) auf mehrere Gene­ra­tionen haben. Kein schweres Trauma, das von Kindern und Kindeskindern müh­sam abgetragen werden muss. Keine heldenhaften Vorbilder, an denen man sich mes­sen lassen muss. Solche glücklichen Menschen leben oft in einer Familien­tra­di­tion der „Nicht-Tradition“. Jede Generation ist sich selbst mehr oder weniger genug, bedarf keiner Überhöhungen, keiner großen Erklärungen.

Andere dagegen haben eine von politischen und persönlichen Verwerfungen durch­zogene Familiengeschichte, womöglich weit zurück dokumentiert, an der sie schwer zu tragen haben. Auch dann, wenn es große, stolze Traditionen sind. Sie fühlen sich dann verpflichtet, diesem Erbe gerecht zu werden. Doch wie wahr sind die tradierten Ge­schich­ten überhaupt? Zu Anekdoten, zu immer ähnlich wiederholten Sätzen geronnen, scheinen die darin enthaltenen Deutungsmuster, Charaktermodelle und Schicksals­auf­gaben auf ewig vorzugeben, wie es weitergeht… Ein solches Erbe anzu­nehmen wird zu einer (nicht selten schier über­wältigenden) Aufgabe. Lösen kann sie nur, wer sein Erbe „erkennt“. Wer sich, wohl oder übel, den Vorfahren zuwendet, ihr Schicksal betrachtet wie ein von weither gespanntes Geflecht, von dem so mancher Strang ins eigene Innere reicht. So kann die Familien­geschichte – wie eine Konstruk­tion, an der man sich mit seinen Gedanken und Gefühlen entlang hangeln kann – nach und nach entdeckt und „genutzt“ werden auf der Suche nach dem Verständnis des eigenen Selbst.

Nach Erkenntnissen für sich zu forschen und andern das Material dafür an die Hand zu geben – es war beides, was Walter Böhme bewogen hat, die vielen Familien­dokumente zu bewahren, zu ordnen und  all das, was ihm – im weitesten Sinne – dazu einfiel, über Jahre immer wieder schriftlich festzuhalten. Denn er gehört nicht zu den Glücklichen, die keine Familientradition haben. Aber er hat sich entschieden, zu den Glücklichen zu gehören, die über ihre Familientradition verfügen. (..)

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Computer leben

Klar kann ich damit umgehen. Ich benutze sie schließlich schon so lange, war sogar eine der ersten, die einen hatte! Den Würfel: was der für ein Geräusch machte … Und nicht bloß surfen und e-mails. Das kann ja jeder. Viele Programme, Generationen von Geräten und Systemen, erobert mit Hilfe von Freunden, die im Notfall kamen und sich die Nacht um die Ohren schlugen für ein herzerfülltes „Wenn ich dich nicht hätte“. Später die anonymen Helfer in irgendwelchen Foren.

Heute sind Computer überall. Die erste eigene Website, denkt man überheblich. Keine Nostalgie. Schnell muss wieder alles anders: vernetzter, mehr Content und vor allem schneller. Sonst wird das nichts mit dem Wahrgenommenwerden im Netz. Worauf es schließlich ankommt. Und morgen, wer weiß. Wir stehen ja am Anfang. Oder am Ende? Ein neues Zeitalter! Man muss sich drauf einstellen, kann sich drauf einstellen. Wenn man will. Aber wer will das schon nicht!? Die ungeheuren Möglichkeiten! Darüber muss man doch Bescheid wissen. Und die Gefahren. Facebook oder nicht, da kannst du schon mal schwanken. Lemming oder Paranoia.

Aber verweigern führt ja auch zu nichts. Dann bist du abgehängt, ganz schnell. Ganz schnell geht das, dann hast du keine Ahnung mehr von dem, was läuft oder vor sich geht. Nur Zeit. Aber will ich immer spazieren gehen wie die Rentner? Dann bist du alt. Schlimmer  als alt. Früher hatten die Alten andere Ansichten, heute sind sie blind. Denn sie wissen nicht, worüber die Jungen reden. Senioren sind nicht alt. Die haben keine Zeit, surfen und schreiben Mails. Doch mit ihren Freunden, wenn sie welche haben, treffen sie sich analog.

Ich bin noch nicht alt, noch nicht Seniorin. Ich will das alles noch viel genauer wissen. Lemming oder Paranoia. Werkzeug oder Sklaverei. Ich bin ein Textbüro , ein Kommunikationsmensch. Ich arbeite freiberuflich, frei, freiwillig. Doch der Computer isst Zeit. Das ärgert mich. Aber da muss ich durch. Am Ende wird es Spaß machen. Ich Herrin, du Diener. Oder nicht?

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