Im Schreib-Workshop begonnen …

… und nun beim GYF-Wettbewerb* eingereicht.
Ein Text von Doris Krüger:

Der Ringlokschuppen in Mülheim an der Ruhr.

Der Sonnenuntergang ist prächtig. Ich sitze auf einer Mauer und schaue auf das Halbrund des alten Backsteingebäudes. Vor den riesigen Fensterfronten, die in Stahlfachwerk eingefasst sind, untermalen kleinstämmige Platanen mit ihrem zurecht gestutzten Blätterdach Fassade und Form. Wie praktisch, dass sie nicht nur wie von Designerhand gestaltet aussehen, sondern auch im Biergarten Schatten spenden.

Es ist Sommer, Ruhrsommer. Der Himmel verfärbt sich langsam in ein sanftes Rot, während noch einige Schäfchenwolken weiß bleiben wollen und langsam daher ziehen. Ich atme tief ein. Welch friedvolle Abendstimmung. Wieder ein Tag, an dem es sich lohnt zu leben.

Auf den breiten Treppenstufen, die mit Rasen bedeckt sind und im Halbkreis langsam abfallend fast bis zur Bühne reichen, sitzen schätzungsweise 800 Menschen. Und ich mittendrin! Wow!
Auf der sogenannten Drehscheibe spielt eine Band. In früheren Zeiten wurden hier die Lokomotiven gedreht, um im Ringlokschuppen gewartet oder repariert zu werden. ‚Altes und Neues eng vereint‘, denke ich, während ich mich den Rhythmen hingebe und auf den dahinterliegenden dicht bewachsenen MüGa–Park blicke.
Ein Pärchen liegt eng umschlungen auf der Wiese und lauscht aus der Ferne. Ein paar türkische Kinder spielen Fußball. Ihre Mütter sitzen auf der Parkbank und essen Sonnenblumenkerne.
Weltmusik ist angesagt. Europäische Klänge verbinden sich mit orientalischen. Die Stimmung ist großartig. Ausgelassen tanzen Erwachsene, Kinder und Jugendliche auf der Ebene vor der Bühne. Alt neben jung. Chic neben freakig. Eine Mischung, wie ich sie liebe.
Die „Odyssee der Kulturen“ ist mal wieder ein voller Erfolg. Jedes Jahr freue ich mich auf das Event und hoffe auf gutes Wetter. Meist ist der zuständige Gott gnädig. Auch heute konnte ich mein Fahrrad schnappen und von Saarn kommend entlang der Ruhrauen und des alten Steinbruchs den grünen Hinweg genießen.

800 Menschen eine anonyme Masse? Nein, weit gefehlt! Schließlich sind wir im Ruhrgebiet. Zwei Reihen vor mir entdecke ich Mechthild. Wir haben uns hier vor vielen Jahren in einem Kurs für afrikanisches Trommeln kennengelernt und seitdem so manche Lebenssituation miteinander geteilt. Sie winkt mir zu. In der Pause haben wir Zeit zu plauschen. Sie hat Freunde aus Essen und Bochum mitgebracht.
Auf dem Weg zum Bierstand heißt es „Hallo, Du auch hier? Schön, Dich zu sehen.“. Obwohl ich heute allein herkam, bleibe ich nicht allein.

Ein Ort, an dem sich Menschen treffen. Und wiedertreffen. An dem ich selbst mit der Trommelgruppe bereits auf der Bühne stand und an dem sich mittlerweile die Kulturgrößen der Republik die Klinke in die Hand geben. Seit ca. 20 Jahren begleitet er mein Leben. Ich habe Theater- und Tanzveranstaltungen gesehen, bei Lesungen die Ohren gespitzt, Funkhaus Europa Partys gefeiert und mit Freunden auf das Jahr 2000 angestoßen. Ich habe beim Open-Air-Kino mit Regenschirm ausgeharrt und im Biergarten meinen 49. Geburtstag gefeiert. Ich habe auf den MüGa-Wiesen Samba-Percussion gespielt und dabei Ärger mit den benachbarten Anwohnern bekommen. Nicht alles war super, aber es war immer … spannend. Und sehr lebendig.

Mittlerweile ist es kurz vor zehn. Der Himmel ist dunkler geworden. Es ist immer noch lauschig. Der Drummer legt gerade ein Solo hin. Es wird gejubelt. Alle applaudieren. Ich stelle mein Getränk zur Seite, um mit einzusteigen. Ein Applaus für die Band. Ein Applaus für diesen Ort, der Kultur, Natur und Begegnung miteinander verbindet. Und der immer wieder die Schatzkiste meines Lebens bereichert.

Und ein großer Applaus für diesen perfekten Abend.

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* Die GYF (Global Young Faculty, das interdisziplinäre Kulturwissenschaftliche Institut der Universitäten Bochum, Dortmund und Essen/Duisburg) hat gemeinsam mit der Stiftung Mercator einen Fototwettbewerb ausgelobt, der identitätsstiftende Orte im Ruhrgebiet sucht. Dabei geht es nicht so sehr um die Qualität des eingereichten Fotos, sondern um die Bedeutung, die ein bestimmter Ort für die Wettbewerbsteilnehmer hat. Ein maximal zwei Seiten langer Text, der davon erzählt, soll mit eingereicht werden.

Viel Erfolg, liebe Doris!

 

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