Im Workshop „Wie beschreibe ich einen Menschen“ lautete eine Aufgabe: Beschreibe möglichst genau das Gesicht eines Menschen, den du kennst.
Zum Fortsetzungstreffen am 18.8.14 waren noch vier Teilnehmerinnen gekommen. Nachdem sie eine knappe Viertelstunde geschrieben und wir die Texte besprochen hatten, ergab sich ein erstaunliches Bild: In ALLEN hatte sich etwas gesträubt, ein Gesicht, so ganz für sich betrachtet, zu beschreiben. Eine hatte kein Ergebnis, das sie vorlesen wollte (was sehr selten vorkommt), die anderen hatten unterschiedliche Lösungen für die Aufgabe gefunden:
Eine hatte sich in eine freundliche Haltung und relativ „übliche“ Ausdrücke gerettet. Die andere hatte das Gesicht mit einem Körper und einer Geschichte ausgestattet. Die dritte hatte kein existierendes Gesicht beschrieben, sondern sich eins ausgedacht.
Eine sehr spannende Sache also! Was steckt dahinter? Was macht es so schwierig, ein Gesicht, und nur das Gesicht, ganz aus der Nähe zu betrachten?
Man könnte sagen: Weil das (nackte) Gesicht die wichtigste kommunikative Schnittstelle zu anderen Menschen ist. Nicht umsonst sind wir irritiert, wenn eine Sonnenbrille oder Maske ein Gesicht verdeckt, nicht umsonst werden Diskussionen um Vermummung oder Verschleierung schnell irrational.
Warum das so ist:
Erstens müssen wir anhand des Gesichts in Sekundenbruchteilen unser Gegenüber einschätzen (z.B., ob jemand uns gefährlich wird oder nicht). Dafür müssen wir ein Gesicht aber nicht ganz genau betrachten, wir müssen es nur emotional scannen. Im Gegenteil: Eine intensive Betrachtung aller, die uns begegnen, würde uns schnell überfordern.
Zweitens ist ein gewisser Grad an Maskierung sozial notwendig: „Sein Gesicht wahren“ bedeutet, nicht alles von sich preisgeben zu müssen. Es kann also problematisch sein, jemanden mit Blicken auszuforschen! Jemanden direkt und ausdauernd anzusehen, womöglich noch sein Gesicht, kann eine massive Grenzüberschreitung bedeuten. Also lernen wir früh, die Augen abzuwenden resp. in der Kommunikation mit kurzen Blicken auszukommen …
Heutzutage gibt es Gesichts-Scanner, die zunehmend zur Überwachung eingesetzt werden und „biometrische Merkmale“ erfassen, also alles, was sich messen lässt: Abstände, Wangenknochen, Nasenwinkel etc. Die Daten werden miteinander abgeglichen, damit absichtliche Veränderungen (Bart, Operationen etc.) in der Erkennung keine Rolle mehr spielen. Alle anderen Merkmale eines Gesichts, wie Ausdruck, Lebendigkeit, Spuren des Lebens, werden von den Maschinen (noch) als Datenmüll aussortiert. Im Zwischenmenschlichen jedoch spielen gerade sie eine große Rolle: Wir erfassen sie mit einem „emotionalen Scanner“, könnte man sagen. Was nicht unbedingt heißt, dass wir sie bewusst wahrnehmen.
Wenn wir also ein Gesicht sehen (und sozial gut funktionieren), halten wir die Balance zwischen Erkennen (emotional scannen) und Nichtausforschen (nicht genau hinsehen). Das alles läuft mehr oder weniger intuitiv ab. Sich bewusst zu machen, was man da vor Augen hat, ist erst der nächste Schritt.
Was bedeutet das nun für die oben genannte Aufgabe?
Anders gefragt: Was muss passieren, damit wir ein Gesicht so genau betrachten, damit wir es beschreiben können? (Biometrie, das merkt man schnell, bringt uns hier nicht weiter.)
Wir müssen uns „herausnehmen“, jemanden heimlich oder in einem gesicherten sozialen Rahmen regelrecht „auszuforschen“. Nur so können wir die Spuren des Inneren, des Gemütszustands und der Lebensgeschichte auf einem Gesicht lesen und uns bewusst machen. Dann können wir sie auch genau beschreiben. Die Situation erfordert also ein Höchstmaß an Sicherheit oder Vertrauen!
Das Wahrnehmen ist hier allerdings selbst ein „kommunikativen Akt”, weil auch Assoziationen und Vorabinformationen des Beobachters mit einfließen.
Wenn man das weiß, kann man in der anschließenden Beschreibung zwei Wege gehen:
– Man entscheidet sich für eine „objektiveRE“ resp. „möglichst“ objektive Darstellung.
– Man macht den subjektiven Faktor als (zusätzliche) Informationsquelle sichtbar.
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Zwei weitere Übungen stehen noch aus:
– die Beschreibung des eigenen Gesichts
– die Beschreibung eines Gesichts in einem heftigen Gemütszustand
Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt auf den nächsten Montag …
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