Morgenverstimmung

Der kleine Geschichte ist das Produkt einer Schreibwerkstatt-Übung zum Thema Dialog. Ziel der Übung ist, die Dopplung von Gesprochenem und Beobachtetem zu vermeiden. Dafür sollte man zuerst aufschreiben, was gesagt wird, und in einem zweiten Schritt dann die Zwischentexte.

„Hi!“ sagt Sonja, setzt sich auf den grünen Stuhl und schlägt die nackten Beine unter. Dann blinzelt sie über den spärlich gedeckten Frühstückstisch und runzelt die Stirn in der Überlegung, ob ihr irgendetwas gefällt von dem, was sie dort sieht.

Fred wirft einen kurzen Blick auf die Gänsehaut, die sich an den Oberschenkeln seiner Frau gebildet hat. Er hat einen Bademantel an, dunkelblau grau gestreift, und graue Filzpantoffeln, von denen vorne die schwarze Filzsohle ein bisschen absteht. Seine Mundwinkel zucken kurz, als er betont sachlich

„Morgen!“ sagt. Dann ist er mit den Augen wieder in der Zeitung.

Sonja, noch zu müde für schnelle Reaktionen, hebt daraufhin den Blick.

„Gut geschlafen?“ fragt sie eher beiläufig.

„Geht so.“

Fred sieht weder Sonja noch die Tasse, die er zum Mund führt. Sein Blick bohrt sich in etwas Unsichtbares, nicht weit vor ihm. Wieder das kurze Abwärtszucken der Mundwinkel.

„Hm.“

Sonja scheint einen kurzen Moment ratlos. Dann richtet sie den Oberkörper auf, runzelt erneut die Stirn und schürzt die Lippen. Sie mustert Fred einen Moment, doch der reagiert nicht.

„Bist du sauer auf mich?“

Noch während sie es ausspricht, denkt sie schon, die Frage hätte ich mir auch sparen können. Mit einer leichten Drehung des Oberkörpers wendet sie sich von Fred ab und sucht mit den Augen auf der Anrichte nach der Kaffeekanne.

Keine Reaktion.

Kalt, denkt sie, als sie die Beine von der Stuhlkante und die Füße auf die Fliesen gebracht hat. Um die Kanne zu erreichen, muss sie sich nur halb erheben. In der einen Hand den Kaffee, zieht sie sich mit der andern Hand beim Hinsetzen das XXL-Feinripp-Männerunterhemd unter den Hintern, das sie als Nachthemd trägt. Die Sitzfläche des Stuhls ist aus Holz, auch kalt. Fred raschelt mit der Zeitung und räuspert sich kurz und schnaubend.

Sonja entscheidet sich zu einem provisorischen Gegenangriff:

„Also du verbreitest mal wieder eine Stimmung!“ ihre Stimme noch eher nächtlich und weich. Freds Antwort kommt prompt. Es soll wohl gleichgültig klingen:

„Dafür warst du umso fröhlicher gestern!“ Er ist eindeutig schon länger wach.

„Ach so, na klar.“   Nun, da Sonja weiß, woher der Wind weht, schiebt sie kurz den Unterkiefer vor und setzt mit einem kleinen Knall die Kaffeetasse ab, aus der sie gerade trinken wollte. Fred faltet unordentlich die Zeitung zusammen und fuchtelt damit ein Stück durch die Luft, bevor er sich entschließt, sie wegzulegen und stattdessen ein Brötchen aufzuschlitzen.

„Es ist einfach immer dasselbe!“ spuckt er aus, nicht so sehr aufgebracht, eher verbittert.

Sonja wirft einen Blick zur Decke und atmet hörbar aus. Sie seufzt:

„Ich trinke zu viel.“ Was eher ein Zitat als eine Feststellung ist. Und richtig, Fred antwortet in leicht sarkastischem Tonfall:

„Du trinkst zu viel.“

Womit für ihn alles gesagt scheint. Er schmiert Butter, dann Marmelade auf sein Brötchen, entfaltet seine halb zerknüllte Zeitung wieder und setzt sein Frühstück fort.

Sonja, den Mund halb geöffnet, sieht ihn hantieren. Sie findet in ihrem tölpelhaften Kopf so schnell keine Antwort. Der altbekannte Vorwurf trifft sie jedes Mal wie aus dem Nichts. Unerwartet, immer. Sie fand den Abend schön und stöhnt:

„Oh Mann!“

Langsam breitet sich Wut in ihr aus. Sie steht auf, geht zum Fenster, zieht das Unterhemd eng um den Leib, blickt nach draußen. Gegenüber tritt der dicke, große Bergstein aus dem Haus, Nomen est Omen. Nach ein paar langen federnden Schritten bleibt er stehen, es ist ein Eckhaus, zündet sich eine Zigarette an, legt den Kopf kurz in den Nacken, um auszuatmen, und biegt ab. Sie dreht sich um, starrt Fred an, rollt mit den Augen. Er starrt schlitzäugig zurück und bellt:

„Was!“

Für einen Moment hält sie dem Blick stand. Dann zieht sie die Schultern hoch und schaut kurz zu Boden. Als sie den Kopf wieder hebt, sind ihre Augen kompromissbereit.

„Okay, mag ja sein, dass du Recht hast, aber du …“

Sie presst die Lippen aufeinander. Das Eingeständnis ist nicht vorgespielt. Sie weiß, dass sie bei bestimmten Gelegenheiten gern ein Glas Wein nach dem andern trinkt. Sie glaubt ihm auch, dass sie in trunkenem Zustand keineswegs so genial, präzise und klug ist, wie sie denkt. Und dass all dies für einen nüchternen Geist wie ihn peinvoll anzusehen ist. Und dennoch ist es nur die halbe Wahrheit.

„Aber du …“

„Was ich!“ schnappt er zurück.

Wie kann man nur immer so nüchtern sein!? will sie ihn anschreien. Lass doch mal locker! Das ist die totale Selbstkontrolle! Wovor hast du Angst?!

Aber sie tut es nicht. Es würde nichts nützen. Schließlich weiß er es selbst, gibt es manchmal auch zu. Nur nicht jetzt.

„Ach, vergiss es“, sagt sie deshalb nur müde und ein bisschen beleidigt. Sie steht auf, drückt die Knie durch, reckt gähnend einen Handballen in die Höhe, den andern Richtung Küchenboden, zögert noch einen Moment und murmelt dann ganz versöhnlich:

„Ich geh duschen.“

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