Letztens fiel mir ein etwas abgegriffenes Taschenbuch in die Hände: „Nachgetragene Liebe“ von Peter Härtling
Spannend. Als Junge konnte Peter Härtling seinen Vater weder achten noch verstehen. Als er den Versuch unternimmt, ihm seine Liebe „nachzutragen“, ist er bereits älter, als der Vater jemals wurde.
Bemerkenswert: Es geht nicht um Rechtfertigung. Peter Härtling will die Haltungen und Handlungen seines Vaters nicht eindeutig machen, Täter-Opfer-Kategorien interessieren ihn nicht. Er will sich vielmehr in das Kind hineinversetzen, das er einst war. In den Jungen, der seine von Frauen dominierte Familie am liebsten losgeworden wäre. Der seinen Vater hasste, weil er nicht so war, wie er ihn sich wünschte.
Das ist nicht einfach, kommt dem Autor doch oft genug sein Erwachsenenwissen in die Quere. Er konzentriert sich deshalb auf das, was er wirklich erinnert, versucht auszublenden, was er nur zu erinnern meint. Als Leser erfährt man auch erst nach und nach, warum die Familie aus dem Reich ins „Protektorat“ floh und was es sonst noch an Schwierigkeiten gab …
Durch diese Vorgehensweise gelingt es Peter Härtling, nach und nach das Bild des Vaters immer mehr zu differenzieren. Je tiefer er in seine Erinnerungen vordringt, um so mehr ist er in der Lage zu verstehen. Stück für Stück befreit er seine kindlichen Wahrnehmungen von seinen kindlichen Wünschen nach Anerkennung und Zugehörigkeit. Die waren so stark, dass sie alles andere überdeckten oder nicht gelten ließen.
So unternimmt er also im Erinnern weniger eine Reise als eine Ausgrabung. Je mehr er begreift, desto mehr sieht er. Die persönlichen Schwächen und Stärken des Vaters, seine beruflichen und menschlichen Motive, sein gesellschaftliches und familiäres Scheitern, sein Ende – nichts hat einen einfachen Grund, oft hängt eins mit dem andern zusammen. Und so ist es dem Autor am Ende möglich, in sich eine Liebe für den Vater zu finden. Als Kind hatte er in ihm vor allem den Versager gesehen, den unmännlichen, unheldenhaften, politisch nicht eindeutig für Hitler Stellung beziehenden Mann. Auch den treulosen, zeitweise die Familie verratenden Mann. Nun wird das innere Kind des Autors allmählich erwachsen.
Peter Härtling gelingt eine ergreifende, weil ganz unsentimentale Versöhnung mit dem Vater. Nun kann er ihn sehen als einen Mann, der in schwieriger Zeit nicht gut oder böse war, sondern angstvoll und widerständig, treulos und reuevoll, unpolitisch und ehrenhaft. Dass die Vergangenheit nachwirkt, ist bekannt. Hier darf man beobachten, wie sich diese Wirkung nachträglich verändern lässt.
Luchterhand Literaturverlag, Frankfurt/M. 1980
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